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Autor: Paul Endrejat
Datum: 21. August 2024
Typologietests wie DISG, Myers-Briggs und Insights erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit.[1] Kein Wunder, wenn versprochen wird, sich und andere besser zu verstehen. Doch ein qualitativer Unterschied zu Brigitte- und Bravotests ist nicht zu erkennen. Auch wenn die Anbieter und Anwender sich deutlich ernster nehmen und so in manchen Fällen mehr Schlechtes als Rechtes bewirken...

Eine persönliche Erfahrung zu Beginn

Ich wurde von einem Train-the-Trainer- Anbieter als Dozent für das Modul „Design Thinking“ eingekauft. Die erste Hälfte des Tages lief super: Die Teilnehmenden – als angehende Trainer:innen und Coaches – waren interessiert und engagiert bei der Sache. Der Design Thinking SpeedRun und der Input zur Methode war lebhaft, die Diskussion kontrovers. Dann habe ich die Gruppe in Teams eingeteilt, damit sie Design Thinking anhand von realen Herausforderungen learning-by-doing kennenlernen. Auch das lief für die meisten Teilnehmenden reibungslos. Nur eine Teilnehmerin, die zuvor aktiv mitgearbeitet hat, zog sich mehr und mehr zurück und verließ sogar die Gruppe, um lieber den Wolken beim Vorbeiziehen zuzuschauen. In einer Pause erkundigte ich mich, ob bei ihr alles in Ordnung sei. Die Antwort: „Klar, alles super. Nur hast du die Teams so eingeteilt, dass wir zwei Rote im Teams haben. Das kann dann ja nichts werden.“ Im vorherigen Modul wurde ein Insight® Discovery Test durchgeführt…
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Worüber reden wir?

Typologietests zielen darauf ab, Persönlichkeitsmerkmale von Menschen in bestimmte Kategorien oder Typen einzuordnen. Diese Tests basieren auf der Idee, dass sich Menschen in bestimmte, relativ stabile Persönlichkeitsprofile einteilen lassen, die dann dazu genutzt werden können, Verhalten, Vorlieben und Interaktionen vorherzusagen.

Barnum-Effekt: Warum funktionieren Typologietests?

Phineas Taylor Barnum war ein US-amerikanischer Schausteller, Geschäftsmann und Politiker des 19. Jahrhunderts, der vor allem für seine Gründung des „Barnum & Bailey Circus“ bekannt ist. Er war ein Meister des Marketings und der Unterhaltung und wurde berühmt für seine Fähigkeit, das Publikum mit spektakulären Shows, kuriosen Ausstellungen und Werbegags zu fesseln. Besonders beliebt: Seine zutreffenden Aussagen über ihm unbekannte Menschen. Er machte vage, aber positiv klingende Aussagen, die auf fast jeden zutreffen konnten, was den Menschen das Gefühl gab, persönlich angesprochen und verstanden zu werden.

Typologietests (und Horoskope) nutzen den Barnum-Effekt. Die Aussagen sind so vage und universell, dass sich die meisten Menschen darin wiedererkennen, unabhängig von ihrer tatsächlichen Persönlichkeit. Zum Beispiel könnten solche Tests eine Person als „strukturierte Denkerin, die in bestimmten Situationen sehr kreativ sein kann“ beschreiben. Diese Beschreibung trifft auf viele Menschen zu, aber die Art und Weise, wie sie präsentiert wird, lässt die Testanwenderin glauben, dass die Aussage spezifisch auf sie zutrifft. Diese Wahrnehmung von Genauigkeit führt dazu, dass die Nutzenden den Test als wissenschaftlich fundiert wahrnehmen, obwohl die Aussagen in Wirklichkeit so allgemein sind, dass sie kaum spezifische oder nützliche Informationen liefern.


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Wacklige konzeptionelle und wissenschaftliche Basis

Nehmen wir den MBTI. Hier sind Denken und Fühlen die entgegengesetzten Pole eines Kontinuums. Aus der (persönlichkeitspsychologischen) Forschung[2] ist allerdings bekannt, dass sie unabhängig voneinander sind. Wer Ideen und Daten mag, kann auch Menschen und Gefühle mögen kann (oder beidem eher skeptisch gegenüberstehen). Für beide Pole sollte es also getrennte Werte geben.

Ähnlich beim Insight Discovery: Hier wird angenommen, dass es zwei Faktoren gibt: Einen Faktor grün vs. rot, der andere beschreibt blau vs. gelb. Die Aufgabe besteht darin, bei vier Aussagen auszuwählen, a) welche am meisten und b) am wenigsten auf mich zutrifft[3]. Hier ein Beispiel:

Zuerst eine Bemerkung zum gelben Item („Sunshine Yellow“): Für die Behauptung, dass Einfühlsamkeit und Innovation Hand in Hand gehen, würde uns Walter Isaacson auslachen. Er hat Biografien über Steve Jobs und Elon Musk geschrieben.
Als weitere konzeptionelle Schwäche: Warum soll die Ermutigung Schwächerer negativ damit zusammenhängen, dass ich schnell den Kern eines Problems finde? Und wenn ich die grüne Aussage für mich annehme, die rote ablehne, dann habe ich noch nichts zum zweiten Faktor (blau vs. gelb) gesagt. Zudem ermöglicht das Antwortformat es nicht, dass Personen sich mit ihren Aussagen in Relation zu anderen Aussagen einordnen bzw. zustimmen, sondern sie mit ihren Antworten lediglich pauschale Zu- oder Ablehnung ausdrücken können. Es ist keine relative Zuordnung möglich, sondern nur pauschale Zu- oder Ablehnung. Dass es hierbei zu einer Verzerrung von Ähnlichkeiten und Unterschieden kommt, beschreibt auch Prof. Dr. Uwe Kanning anschaulich[4].

Zur Illustration:
Obwohl die folgende Abbildung zeigt, dass sich Thomas und Nicole in ihrem Profil mehr ähneln als Thomas und Maja, werden durch die Einordung in eine Typologie diese Nuancen überdeckt. Entsprechend haben Studien[5,6] gezeigt, dass die Vorhersagekraft von Persönlichkeitstypen im Vergleich zu dimensionalen Ansätzen deutlich schwächer ist. Typologien verlieren wichtige Informationen, die für eine genaue Vorhersage des Verhaltens notwendig sind. Die Kosten für den Verlust von typeninterner Information sind in der Regel höher als die möglichen Gewinne aus der Anwendung typischer Konfigurationen.


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Vernachlässigung des Kontextes

Typologien ignorieren oft die komplexen Wechselwirkungen zwischen individuellen Eigenschaften und der Arbeitsumgebung. In dynamischen Teams, in denen sich das Verhalten situationsabhängig ändert, kann das Festhalten an starren Typologien sogar schädlich sein. Solche Klassifikationen führen zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung, die das Handlungsspektrum der Menschen einschränkt und ihre Leistung untergräbt. Eine selbsterfüllende Prophezeiung ist ein Phänomen, bei dem eine Vorhersage oder Erwartung eine Verhaltensweise auslöst, die dazu führt, dass sich die Vorhersage tatsächlich erfüllt.

Als Beispiel aus dem Berufsleben:

Vorhersage/Erwartung: Eine Teamleitung verwendet die Insights Discovery Methode und erhält die Profile seiner Teammitglieder. Ein Mitarbeiter wird als „blau“ klassifiziert, was in dieser Methode oft mit Eigenschaften wie Detailorientierung, Zurückhaltung und Analysefähigkeit verbunden ist. Die Teamleitung geht nun davon aus, dass dieser Mitarbeiter wenig Interesse an kreativen oder dynamischen Aufgaben hat und sich eher auf technische oder analytische Aufgaben konzentrieren sollte.

Verhalten: Aufgrund dieser Klassifikation beginnt die Teamleitung, dem Mitarbeiter hauptsächlich Aufgaben zuzuweisen, die analytisches Denken erfordern, und vermeidet es, ihm kreative oder soziale Aufgaben zu geben. Der Mitarbeiter spürt die Einengung seiner Rolle und entwickelt möglicherweise das Gefühl, dass ihm kein Vertrauen in seine Fähigkeiten für andere Arten von Aufgaben entgegengebracht wird.

Ergebnis: Der Mitarbeiter beginnt, sich selbst zunehmend als eine Person zu sehen, die nur in analytischen Bereichen stark ist, und zeigt weniger Interesse oder Initiative in kreativen oder interaktiven Projekten. Diese eingeschränkte Rollenwahrnehmung führt dazu, dass der Mitarbeiter in der Tat weniger kreativ oder dynamisch wird, was die ursprüngliche Annahme der Teamleitung bestätigt. Die Erwartungen der Teamleitung haben dazu geführt, dass das Potenzial des Mitarbeiters nicht vollständig ausgeschöpft wurde, und möglicherweise wurde ein vielseitiges Talent vernachlässigt.

 

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Typologien und Stereotypisierung

Persönlichkeit und Verhalten können nicht unabhängig vom Kontext betrachtet werden können. Das weiß man seit fast 100 Jahren: Bereits Kurt Lewins Formel "V = f(P, U)", die das Verhalten (V) als Funktion von persönlichen (P) und umweltbedingten (U) Faktoren beschreibt, unterstreicht die Bedeutung der Interaktion zwischen Individuum und Umwelt. Statt Menschen in starre Typen zu klassifizieren, sollten wir uns auf die Wechselwirkungen konzentrieren, die das Verhalten in verschiedenen Situationen beeinflussen.

Das ist so banal, dass wir eigentlich nicht lange darüber nachdenken: Natürlich kann ich bei dem Projekt „Kindergeburtstag organisieren“ ganz detailversessen sein, besonders wenn es die erste Fete mit großem Freundeskreis ist. Die Jahre danach gehe ich dann weniger akribisch zu Werke. Hat sich dadurch meine Persönlichkeit geändert? Und natürlich bin ich in einem Arbeitsprojekt weniger akribisch, wenn es nicht in meine Rolle fällt, Ausgaben und Einnahmen zu überwachen. Deshalb sollte im Arbeitskontext auch das Konzept „Rolle“ vielmehr Gewicht haben, als die authentische Persönlichkeit. Denn Rollen geben Klarheit, erlauben es Erwartungen zu formulieren, weisen Verantwortung zu, erleichtern die Kommunikation und sind anpassungsfähig, wenn sich die äußeren Umstände ändern.

Zudem können auch erfahrende, kompetente Mitarbeitende, denen man gerne kommentarlos Aufgaben delegiert, je nach Tagesform auch einmal eine beziehungsorientierte Ansprache vertragen. Oder noch ein Mini-Coaching, welches hilft die Ziele hinter einer Veränderung zu verinnerlichen.[7] Gute Führungskräfte erkennen also den Bedarf ihrer Mitarbeitenden und hören nicht auf zu denken, weil das Team bunt angemalt wurde.

Im Sinne eines Zwischenfazits lässt sich festhalten: Typologien, die Menschen in bestimmte Kategorien einteilen, fördern Stereotype und klischeehafte Denkweisen. Sie reduzieren komplexe Persönlichkeiten auf wenige Merkmale und ignorieren dabei die vielen Nuancen und Schattierungen, die jeden Menschen einzigartig machen. Diese vereinfachte Sichtweise kann zu einer Voreingenommenheit führen, die persönliche Weiterentwicklung verhindert und Menschen in Schubladen steckt, aus denen sie schwer wieder herauskommen.

 

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Wissenschaftlich fundierte Diagnosetools

Ich möchte aber Tests einsetzen, um mich, mein Team und die Welt zu diagnostizieren

Dann ist die Empfehlung der meisten seriösen Psycholg:innen sich einen Test zu besorgen, der auf dem Big Five basiert. Die Big Five Persönlichkeitsmerkmale, auch als Fünf-Faktoren-Modell (FFM) bekannt, sind wissenschaftlich fundiert und gelten als eine der am besten erforschten und validierten Theorien der Persönlichkeitspsychologie. Die Big Five umfassen fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit:

Diese Merkmale wurden durch umfangreiche empirische Forschung und statistische Analysen, insbesondere durch Faktorenanalysen, identifiziert und validiert. Sie sind kulturübergreifend stabil und haben eine hohe Vorhersagekraft für Verhalten in verschiedenen Lebensbereichen. Zudem sind sie relativ zeitstabil, was bedeutet, dass sie konsistente Persönlichkeitsunterschiede über die Lebensspanne hinweg beschreiben können. Die wissenschaftliche Fundierung der Big Five macht sie zu einem robusten und anerkannten Instrument in der Persönlichkeitspsychologie.

Wenn insbesondere von Interesse ist, wie das Team und seine Mitglieder miteinander harmonieren besteht die Möglichkeit die emergenten Zustände in Teams zu messen. Diese Emergent States entstehen durch die Interaktionen der Teammitglieder und lassen sich nicht einfach aus individuellen Eigenschaften vorhersagen. Sie sind kein Prozess oder Arbeitsergebnis, beeinflussen diese aber. Sie sind dynamisch, aber doch relativ stabil (sie verfestigen sich mit der Zeit) und liefern erste Hinweise, an welcher Stelle eine Teamleitung ansetzen kann, um die Teamarbeit zu optimieren. Hier einige Beispiele für Emergent States:

  • Der Zusammenhalt bezieht sich auf das Ausmaß, in dem sich die Teammitglieder miteinander verbunden und den Zielen des Teams verpflichtet fühlen.
  • Entitativität bezieht sich auf das Ausmaß, in dem eine Gruppe als eine kohärente und eigenständige Einheit wahrgenommen wird.
  • Vertrauen ist ein Zustand, der sich entwickeln kann, wenn die Teammitglieder Vertrauen in die Fähigkeiten und Absichten der anderen haben.
  • Psychologische Sicherheit bezieht sich auf die Überzeugung, dass Teammitglieder Risiken eingehen, ihre Ideen und Meinungen mitteilen und ihre Bedenken äußern können, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen.
  • Kollektive Selbstwirksamkeit bezieht sich auf die gemeinsame Überzeugung, dass das Team seine Ziele erreichen und effektiv arbeiten kann.

Eine Analyse, die auf diesen emergenten Zuständen basiert, kann ein viel genaueres Bild der Dynamik innerhalb eines Teams liefern und zu besseren Ergebnissen führen.

 

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Fazit

Die Vorstellung, dass mittels Typologien relevante und fundierte Kenntnisse über Personen gewonnen werden können, ist veraltet. Stattdessen bieten diese nur begrenzte Einblicke in die tatsächliche Persönlichkeit und das Verhalten von Menschen. Das Reduzieren einer Person auf ein oder zwei Eigenschaften, um sie einem bestimmten Typ zuzuordnen („sie ist ruhig und organisiert, also eindeutig blau“), ignoriert die Vielzahl an unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen, die ihre Einzigartigkeit ausmachen. In einer komplexen und dynamischen Arbeitswelt brauchen wir Ansätze, die die Interaktionen und den Kontext berücksichtigen, in dem sich Verhalten manifestiert. Emergente Zustände und die Berücksichtigung von Kontextfaktoren bieten hier einen vielversprechenderen Ansatz. Es ist an der Zeit, das Schubladendenken zu überwinden und Persönlichkeit in ihrer gesamten Komplexität zu betrachten. Nur so können wir die Potenziale von Individuen und Teams wirklich entfalten.


Referenzen

[1] https://www.wirtschaftspsychologie-heute.de/personalauswahl-typentests-noch-immer-weit-verbreitet/

[2] Lippa, R. (1998). Gender-related individual differences and the structure of vocational interests: The importance of the people–things dimension. Journal of Personality and Social Psychology, 74(4), 996–1009. https://doi.org/10.1037/0022-3514.74.4.996]

[3] https://www.insights.com/de/produkte/insights-discovery/

[4] https://youtu.be/ER2dCdW-CJA?si=19HyMQbu3vXhPu-o

[5] Jens B. Asendorpf (2003). Head-to-head comparison of the predictive validity of personality types and dimensions. In: European Journal of Personality, 17(5), 327–346, doi:10.1002/per.492

[6] David J Pittenger: The limitations of extracting typologies from trait measures of personality. In: Personality and Individual Differences. Band 37, Nr. 4, September 2004, ISSN 0191-8869, S. 779–787, doi:10.1016/j.paid.2003.10.006

[7] Güntner, A. V., *Heimann, A. L., Ingold, P. V., & Kleinmann, M. (2022). Training Adaptive Leadership: on the role of leader cognitions and behaviors. Academy of Management Proceedings 2022(1). https://doi.org/10.5465/AMBPP.2022.12310abstract

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