Nehmen wir den MBTI. Hier sind Denken und Fühlen die entgegengesetzten Pole eines Kontinuums. Aus der (persönlichkeitspsychologischen) Forschung[2] ist allerdings bekannt, dass sie unabhängig voneinander sind. Wer Ideen und Daten mag, kann auch Menschen und Gefühle mögen kann (oder beidem eher skeptisch gegenüberstehen). Für beide Pole sollte es also getrennte Werte geben.
Ähnlich beim Insight Discovery: Hier wird angenommen, dass es zwei Faktoren gibt: Einen Faktor grün vs. rot, der andere beschreibt blau vs. gelb. Die Aufgabe besteht darin, bei vier Aussagen auszuwählen, a) welche am meisten und b) am wenigsten auf mich zutrifft[3]. Hier ein Beispiel:
Typologien ignorieren oft die komplexen Wechselwirkungen zwischen individuellen Eigenschaften und der Arbeitsumgebung. In dynamischen Teams, in denen sich das Verhalten situationsabhängig ändert, kann das Festhalten an starren Typologien sogar schädlich sein. Solche Klassifikationen führen zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung, die das Handlungsspektrum der Menschen einschränkt und ihre Leistung untergräbt. Eine selbsterfüllende Prophezeiung ist ein Phänomen, bei dem eine Vorhersage oder Erwartung eine Verhaltensweise auslöst, die dazu führt, dass sich die Vorhersage tatsächlich erfüllt.
Als Beispiel aus dem Berufsleben:
Vorhersage/Erwartung: Eine Teamleitung verwendet die Insights Discovery Methode und erhält die Profile seiner Teammitglieder. Ein Mitarbeiter wird als „blau“ klassifiziert, was in dieser Methode oft mit Eigenschaften wie Detailorientierung, Zurückhaltung und Analysefähigkeit verbunden ist. Die Teamleitung geht nun davon aus, dass dieser Mitarbeiter wenig Interesse an kreativen oder dynamischen Aufgaben hat und sich eher auf technische oder analytische Aufgaben konzentrieren sollte.
Verhalten: Aufgrund dieser Klassifikation beginnt die Teamleitung, dem Mitarbeiter hauptsächlich Aufgaben zuzuweisen, die analytisches Denken erfordern, und vermeidet es, ihm kreative oder soziale Aufgaben zu geben. Der Mitarbeiter spürt die Einengung seiner Rolle und entwickelt möglicherweise das Gefühl, dass ihm kein Vertrauen in seine Fähigkeiten für andere Arten von Aufgaben entgegengebracht wird.
Ergebnis: Der Mitarbeiter beginnt, sich selbst zunehmend als eine Person zu sehen, die nur in analytischen Bereichen stark ist, und zeigt weniger Interesse oder Initiative in kreativen oder interaktiven Projekten. Diese eingeschränkte Rollenwahrnehmung führt dazu, dass der Mitarbeiter in der Tat weniger kreativ oder dynamisch wird, was die ursprüngliche Annahme der Teamleitung bestätigt. Die Erwartungen der Teamleitung haben dazu geführt, dass das Potenzial des Mitarbeiters nicht vollständig ausgeschöpft wurde, und möglicherweise wurde ein vielseitiges Talent vernachlässigt.
Persönlichkeit und Verhalten können nicht unabhängig vom Kontext betrachtet werden können. Das weiß man seit fast 100 Jahren: Bereits Kurt Lewins Formel "V = f(P, U)", die das Verhalten (V) als Funktion von persönlichen (P) und umweltbedingten (U) Faktoren beschreibt, unterstreicht die Bedeutung der Interaktion zwischen Individuum und Umwelt. Statt Menschen in starre Typen zu klassifizieren, sollten wir uns auf die Wechselwirkungen konzentrieren, die das Verhalten in verschiedenen Situationen beeinflussen.
Das ist so banal, dass wir eigentlich nicht lange darüber nachdenken: Natürlich kann ich bei dem Projekt „Kindergeburtstag organisieren“ ganz detailversessen sein, besonders wenn es die erste Fete mit großem Freundeskreis ist. Die Jahre danach gehe ich dann weniger akribisch zu Werke. Hat sich dadurch meine Persönlichkeit geändert? Und natürlich bin ich in einem Arbeitsprojekt weniger akribisch, wenn es nicht in meine Rolle fällt, Ausgaben und Einnahmen zu überwachen. Deshalb sollte im Arbeitskontext auch das Konzept „Rolle“ vielmehr Gewicht haben, als die authentische Persönlichkeit. Denn Rollen geben Klarheit, erlauben es Erwartungen zu formulieren, weisen Verantwortung zu, erleichtern die Kommunikation und sind anpassungsfähig, wenn sich die äußeren Umstände ändern.
Zudem können auch erfahrende, kompetente Mitarbeitende, denen man gerne kommentarlos Aufgaben delegiert, je nach Tagesform auch einmal eine beziehungsorientierte Ansprache vertragen. Oder noch ein Mini-Coaching, welches hilft die Ziele hinter einer Veränderung zu verinnerlichen.[7] Gute Führungskräfte erkennen also den Bedarf ihrer Mitarbeitenden und hören nicht auf zu denken, weil das Team bunt angemalt wurde.
Im Sinne eines Zwischenfazits lässt sich festhalten: Typologien, die Menschen in bestimmte Kategorien einteilen, fördern Stereotype und klischeehafte Denkweisen. Sie reduzieren komplexe Persönlichkeiten auf wenige Merkmale und ignorieren dabei die vielen Nuancen und Schattierungen, die jeden Menschen einzigartig machen. Diese vereinfachte Sichtweise kann zu einer Voreingenommenheit führen, die persönliche Weiterentwicklung verhindert und Menschen in Schubladen steckt, aus denen sie schwer wieder herauskommen.
Ich möchte aber Tests einsetzen, um mich, mein Team und die Welt zu diagnostizieren
Dann ist die Empfehlung der meisten seriösen Psycholg:innen sich einen Test zu besorgen, der auf dem Big Five basiert. Die Big Five Persönlichkeitsmerkmale, auch als Fünf-Faktoren-Modell (FFM) bekannt, sind wissenschaftlich fundiert und gelten als eine der am besten erforschten und validierten Theorien der Persönlichkeitspsychologie. Die Big Five umfassen fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit:
Diese Merkmale wurden durch umfangreiche empirische Forschung und statistische Analysen, insbesondere durch Faktorenanalysen, identifiziert und validiert. Sie sind kulturübergreifend stabil und haben eine hohe Vorhersagekraft für Verhalten in verschiedenen Lebensbereichen. Zudem sind sie relativ zeitstabil, was bedeutet, dass sie konsistente Persönlichkeitsunterschiede über die Lebensspanne hinweg beschreiben können. Die wissenschaftliche Fundierung der Big Five macht sie zu einem robusten und anerkannten Instrument in der Persönlichkeitspsychologie.
Wenn insbesondere von Interesse ist, wie das Team und seine Mitglieder miteinander harmonieren besteht die Möglichkeit die emergenten Zustände in Teams zu messen. Diese Emergent States entstehen durch die Interaktionen der Teammitglieder und lassen sich nicht einfach aus individuellen Eigenschaften vorhersagen. Sie sind kein Prozess oder Arbeitsergebnis, beeinflussen diese aber. Sie sind dynamisch, aber doch relativ stabil (sie verfestigen sich mit der Zeit) und liefern erste Hinweise, an welcher Stelle eine Teamleitung ansetzen kann, um die Teamarbeit zu optimieren. Hier einige Beispiele für Emergent States:
Eine Analyse, die auf diesen emergenten Zuständen basiert, kann ein viel genaueres Bild der Dynamik innerhalb eines Teams liefern und zu besseren Ergebnissen führen.
Referenzen
[1] https://www.wirtschaftspsychologie-heute.de/personalauswahl-typentests-noch-immer-weit-verbreitet/
[2] Lippa, R. (1998). Gender-related individual differences and the structure of vocational interests: The importance of the people–things dimension. Journal of Personality and Social Psychology, 74(4), 996–1009. https://doi.org/10.1037/0022-3514.74.4.996]
[3] https://www.insights.com/de/produkte/insights-discovery/
[4] https://youtu.be/ER2dCdW-CJA?si=19HyMQbu3vXhPu-o
[5] Jens B. Asendorpf (2003). Head-to-head comparison of the predictive validity of personality types and dimensions. In: European Journal of Personality, 17(5), 327–346, doi:10.1002/per.492
[6] David J Pittenger: The limitations of extracting typologies from trait measures of personality. In: Personality and Individual Differences. Band 37, Nr. 4, September 2004, ISSN 0191-8869, S. 779–787, doi:10.1016/j.paid.2003.10.006
[7] Güntner, A. V., *Heimann, A. L., Ingold, P. V., & Kleinmann, M. (2022). Training Adaptive Leadership: on the role of leader cognitions and behaviors. Academy of Management Proceedings 2022(1). https://doi.org/10.5465/AMBPP.2022.12310abstract