Nachhaltigkeit. Ein Begriff, der unsere heutige Gesellschaft prägt und verändert, wie kaum ein anderer. Durch den Klimawandel verstehen viele Organisationen diesen Begriff heute als ökologische Vorgabe. Dabei sollte jeder Veränderungsprozess auch nachhaltig – im ökonomischen Sinne – implementiert werden.
Und dafür brauchen wir nicht nur bessere Maschinen, sondern Mitarbeitende, die für Veränderungen motiviert werden wollen. Daher hat der Begriff Nachhaltigkeit auch eine soziale Dimension. In diesem Beitrag zeigen wir, warum Organisationen die drei Ps – Planet, Profit und People – zusammendenken müssen, um heute und morgen erfolgreich zu sein. Und wie sie dies schaffen können.
Die grüne, schon leicht ramponierte Box mit dem roten Punkt auf der Vorderseite stellt die beiden Geschäftsführer vor einige Probleme: Wie bloß aufbekommen? „Hinten sind ein paar Hebel, die muss man bestimmt runterdrucken“, ist der Ansatz von Pascal Abel, Wirtschaftsinformatiker und Grunder der The Why Guys mit den Worten: „Lass mich mal ran, als ausgebildeten Ingenieur“, nimmt ihm Cedric Lachmann, ebenfalls Grunder der Why Guys, die Kiste aus der Hand. Nach einigem Herumdrucken und -zerren springt der rote Punkt von der Kiste. „Die war ja versiegelt“, murmelt Cedric verwundert. Die beiden haben recycelte Post-its bestellt, welche CO2-neutral in Mehrwegboxen versandt werden, die nach Gebrauch zum Zusteller zurückgehen. Der Bestellung voraus ging ein Preisvergleich. Was nun folgt, ist der praktische Test: Kleben die neuen Post-its so gut wie die alten? Und wie kann das Unternehmen sicherstellen, dass auch künftige Kaufentscheidungen unter „grünen“ Gesichtspunkten gefallt werden? All diese Erfahrungen wollen die beiden für sich klaren, bevor sie andere Organisationen dabei unterstutzen, „grüne“ Veränderungen nachhaltig in ihren Strukturen zu implementieren.
Nachhaltigkeit und Organisationsentwicklung – Zwei Begriffsbestimmungen
Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff Nachhaltigkeit hören? Vielleicht an Konsumgewohnheiten, die darauf abzielen, den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, wie Drucken auf recyceltem Papier? Oder wird ihnen bei der grünen Klimadebatte rot vor Augen, weil Sie denken, dass diese religiöse Zuge annimmt? In beiden Fällen assoziieren Sie wahrscheinlich den Begriff Nachhaltigkeit mit der Umwelt. Und damit liegen sie richtig. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ stammt aus dem Jahr 1713, in die Welt getragen von Carl von Carlowitz. Kernidee: Es sollte nur so viel Wald geschlagen werden, wie wieder nachwachst. In den letzten 300 Jahren wurde der Begriff weiterentwickelt und auf andere Themen übertragen. So haben 2015 die Vereinten Nationen „17 Ziele fur nachhaltige Entwicklung“ formuliert. Diese umfassen neben dem Schutz der natürlichen Ressourcen und Lebensgrundlagen auch die Armuts- und Hungerbekämpfung sowie die Steigerung von Gesundheit und Bildung. Es ist offensichtlich, dass es für die Erreichung der nachhaltigen Ziele einer weitreichenden Verhaltens- und Produktionsänderung bedarf. Doch wenn die meisten Menschen die Ziele befürworten, warum fallen uns Veränderungen dann so schwer? Eine Antwort besteht darin, dass Organisationen, Arbeitgeber und -nehmer „zwei Seelen in ihrer Brust“ spuren: Auf der einen Seite sollen Planet und Gesellschaft grün und gerecht sein. Auf der anderen Seite müssen die Geschäfte jedoch florieren und auch die individuelle Freiheit ist ein hohes Gut, das nicht vorschnell eingeschränkt werden sollte. Werden diese Interessen zugunsten „des höheren Zieles“ weggewischt, entsteht bei den Betroffenen ein nachvollziehbarer Widerstand. Daher sollten Veränderungen hin zu mehr Nachhaltigkeit immer die drei Ps (Planet, Profit und People) berücksichtigen. Im Folgenden gehen wir auf jedes dieser Ps ein und geben Anregungen, wie Organisationen die gewünschten Änderungen angehen können, ohne den Widerstand der Belegschaft zu wecken.
Planet: Nachhaltigkeit zur Ressourcenschonung
Schon 1972 wies der „Club of Rom“ darauf hin, dass natürliche Ressourcen endlich sind. Doch anstatt unser Handeln auf diese Rahmenbedingungen anzupassen, steigt der Ressourcenverbrauch. So müssen wir den Earth-Overshoot-Day, den Tag im Jahr, an dem die Weltbevölkerung so viele Ressourcen verbraucht hat, wie die Erde in der Lage ist, zu produzieren, immer weiter vordatieren. Im Jahr 2019 schob er sich erstmals vom August in den Juli. Eine bedrohliche Entwicklung, die ins Bewusstsein ruckt, dass Ressourcenschonung unumgänglich ist. Organisationen können entweder jetzt proaktiv auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagieren – oder in der Zukunft, wenn staatliche Vorgaben dies vorschreiben. Dazu findet ein Wertewandel in der Gesellschaft statt. Potenzielle Bewerber und Konsumenten erwarten zunehmend eine ressourcenschonendere Produktion. Organisationen können darauf reagieren, indem sie sich durch geschicktes Marketing einen „grünen Anstrich“ verleihen. Doch sich als sozial verantwortlicher und attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren, ohne es zu sein, ist „lipstick on a pig“.
Profit: Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil
Große Herausforderungen erfordern tiefgreifende Veränderungen. Hier kommt die zweite zentrale Facette des Begriffs Nachhaltigkeit ins Spiel. Nachhalten bedeutet „längere Zeit andauern“ oder „bleiben“. Und somit ist Nachhaltigkeit, unabhängig von Umweltgesichtspunkten, zentral für den Unternehmenserfolg. Damit sich Unternehmen also langfristig auf aktuelle Anforderungen einstellen können, bedarf es einer nachhaltigen Organisationsentwicklung. Carlowitz identifizierte schon vor drei Jahrhunderten eine Herausforderung, um mehr Nachhaltigkeit zu erreichen: Wie können wir Menschen überzeugen, heute einen Baum zu pflanzen, von dem erst zukünftige Generationen profitieren? Übertragen auf heute konnte man fragen: Wie schaffen wir es, Mitarbeitende zu überzeugen, Prozesse, die heute funktionieren, abzulegen, damit sie morgen effektiver arbeiten können? Nehmen wir als Beispiel die Umstellung von analogen auf digitale Dienstreiseantrage und -abrechnungen. Diese Veränderung wird eingeführt, um den Mitarbeitenden und der Personalabteilung Zeit zu ersparen und die Papierproduktion zu reduzieren. Doch solch eine Neuerung bedeutet, dass sich alle Beteiligten auf neue Ablaufe einstellen müssen. Und viele werden sich im Prozess fragen: „Warum muss ich mir das antun, wenn die alte Methode auch funktioniert hat?“ Damit der Dienstreiseprozess nachhaltig erneuert wird, müssen Mitarbeitende daher für die Veränderung motiviert werden.
People: Auf die Motive der Mitarbeitenden eingehen
Wenn wir von „Organisationsentwicklung“ sprechen, ist dies ein überraschend ungenauer Begriff: Organisationen als solche existieren nicht, sondern es sind die Menschen, deren Zusammenkommen eine Organisation ausmacht. Und Menschen haben unterschiedliche Wünsche, Fähigkeiten und Bedürfnisse, die während eines Veränderungsprozesses berücksichtigt werden müssen. Wenn wir das obige Beispiel (Digitalisierung des Dienstreiseprozesses) aufgreifen: Ein Grund, warum einzelne Mitarbeitende die Neuerung vielleicht ablehnen, mag sein, dass der digitale Prozess die gefühlte Anonymität innerhalb der Organisation erhöht. Konnte früher ein kleiner „Plausch“ eingelegt werden, wenn man die Unterlagen in der Personalabteilung vorbeibrachte, entfällt dies, wenn alle Informationen in vorgefertigte Formulare eintippt werden. Versteht man die Motive der Mitarbeitenden, wird die Ablehnung gegenüber Neuerungen zumindest nachvollziehbar und man kann im Veränderungsprozess Lösungen „designen“, die den Wünschen der Mitarbeitenden gerecht werden, sodass schlussendlich deren Motivation für eine Veränderung steigt.
Wie können wir Organisationen nachhaltig entwickeln?
Unter Anbetracht des rasant ansteigenden Tempos von Veränderungen, brauchen wir eine flexible und agile Belegschaft. Lediglich oberflächliche Schönheitskorrekturen vorzunehmen, ohne zugrundeliegende Prozesse und Strukturen anzupassen, führen meistens dazu, dass es in „tieferen Schichten“ über kurz oder lang knirscht. Doch wie können die Mitarbeitenden bei der notwendigen Transformation mitgenommen werden? Als erstes sollte ein Sinn (engl: purpose) für die eigene Organisation definiert werden. Viktor Frankl hat es so beschrieben: „Wer ein Warum hat, erträgt fast jedes Wie.“ In einem Veränderungsprozess erleichtert dieses „Warum“ eine Neuausrichtung eingefahrener Strukturen und hilft den Mitarbeitenden, der Umstellung einen Sinn zu geben. Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass der Purpose in möglichst positiven Begriffen formuliert wird, um die „Zugwirkung“ zu erhöhen. Damit Mitarbeitende von Beginn an eine positive Einstellung entwickeln, sollte deutlich gemacht werden, dass die Veränderung nicht dazu dient, bisherige Arbeitsweisen abzuwerten. Dafür kann den Mitarbeitenden gezielt ins Bewusstsein gerufen werden, was bisher gut funktioniert hat. Dieser Schritt berücksichtigt, dass Veränderungen häufig als Paradoxon wahrgenommen werden: Eine Organisation soll sich stetig wandeln, um auf externe Einflüsse zu reagieren. Dabei muss sie jedoch Prozesse und Geschäftsmodelle aufgeben, die in der Vergangenheit erfolgreich waren. Nur wenn diese vergangenen Erfolge wertgeschätzt werden, ist davon auszugehen, dass die Mitarbeitenden eine offene Haltung entwickeln, die notwendig ist, um sich auf Veränderungen einzulassen. Die Durchführung der Veränderung sollte möglichst partizipativ erfolgen, um die psychologischen Basisbedürfnisse der Mitarbeitenden nach „Autonomie“, „Kontrollerleben“ und „sozialer Eingebundenheit“ zu berücksichtigen. Hierfür können Teams, bestehend aus interessierten Mitarbeitenden, dafür verantwortlich sein, Lösungen zu generieren, wie den Bedürfnissen der Belegschaft Rechnung getragen werden kann (z. B. „Wie können wir den sozialen Austausch trotz digitaler Formulare aufrechterhalten?“). In diesem Szenario wären die Mitarbeitenden die Experten für Inhalte, externe Unterstützung würde dann in der Prozessberatung liegen, d. h., den Weg hin zu einem gewünschten Ergebnis zu definieren. Als Ausblick für zukünftige Transformationen sei darauf hingewiesen, dass es für Veränderungen mit einer großen Hebelwirkung häufig des Zusammenspiels mehrerer Organisationen bedarf. Ziel einer solchen „multiplen“ Organisationsentwicklung wäre u. a., das „Silodenken“ zugunsten eines „vernetzten“ Denkens abzulösen. Wenn es beispielsweise darum geht, öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu gestalten, sollten Technikunternehmen, Bus- und Straßenbahnunternehmen und öffentliche Träger zusammenarbeiten. Dafür bedarf es eines Klimas der Kollaboration und des gegenseitigen Vertrauens, damit Lösungen gemeinsam geschaffen werden. Dies ist auf strategischer Ebene leicht gesagt, aber operativ und konkret schwer umzusetzen. Am besten funktioniert dies mit externer Unterstützung, die die Interessen aller beteiligter Stakeholder im Blick hat und bei Konflikten moderieren kann. Zur Not gibt es auch Hilfestellung beim Öffnen versiegelter Paketboxen.
FAZIT: Nur durch das forcierte Zusammenspiel zwischen Organisation und Mitarbeitende können Veränderungen langfristig und erfolgreich im Unternehmen platziert werden. Zentral ist, dass die Mitarbeitenden den Sinn hinter einer Veränderung verstehen, diese durchgeführt wird, ohne Bestehendes abzuwerten und anschließend Wege gefunden werden, dass Aspekte, die den Mitarbeitende wichtig sind, erhalten
Paul hat in Potsdam und Utrecht Psychologie studiert und an der TU Braunschweig zum Thema Veränderungsmotivation promoviert. Seine Forschungsinteressen sind die Motivierende Gesprächsführung, Design Thinking, Job Crafting und die Steigerung des umweltbewussten Verhaltens. Bzgl. der Organisationsentwicklung interessiert ihn besonders, wie sich eine Innovationskultur etablieren lässt und was wir von "Klassikern" wie Kurt Lewin lernen können
Alexandra Maushake
Kommunikatorin
Alexandra studierte an der TU Braunschweig Sozialwissenschaften mit arbeitssoziologischem Schwerpunkt. Bei The Why Guys ist sie für die Kommunikation auf allen Kanälen zuständig und will in Organisationen Veränderungen anregen, die eine neue Arbeitskultur etablieren.